Parallel zur Natur

Luise Ramsauer ist eine ebenso insistente wie kompromisslose Malerin: insistent im Sinne der kontinuierlichen Entwicklung eines Sujets, das sich aus variablen Motiven, aus einer imaginären Ding- bzw. Objektwelt aufbaut, die zwar Rückkoppelungen zu unserer Erfahrungswelt zulässt, aber diese immer zugleich auch transformiert, vom Abbild einer Wirklichkeitsform in die Möglichkeitsform, wie sie nur als malerische Realität existieren kann. Und kompromisslos, weil sich diese Bilder jenseits des Begrifflichen als purer malerischer Prozess in einer Eigenwelt von Form und Farbe darstellen.

Aus Farbe und Zeichnungen entstehen in großen, mit Ausnahmen eher ruhig durchgearbeiteten Grundflächen organische Formen buchstäblich parallel zur Natur. Sie sind naturhafte Malgebilde, die manchmal wie gerade im Reagenzglas gewachsen erscheinen – noch ohne Haut, in ihrem malerischen Organismus bloßliegend. Es gibt viele mögliche Assoziationen, insbesondere zu den häufig auftauchenden mollusken Formen, in denen sich Erotik, Weichheit ersten Werdens und Geborgenheit in sich entwickelnden Farbschalen widerspiegeln, aber auch Schutzlosigkeit, weil aufgebrochen, bloßgelegt im Sinne der Vielfältigkeit ihrer inneren Struktur anstelle der Eindeutigkeit anatomischer Bestimmung. Man kann bei diesen temperamentvollen und doch so sensitiven Pinselgeburten von Luise Ramsauer nicht ausmachen, was Wachstum oder schon Wucherung ist. Die Grenzen bleiben, was zu gewährleisten grundsätzlich eine eigene Qualität der Malerei ist, stets fließend, wenn auch malerisch kontrolliert; denn die Künstlerin lässt ihre organischen Malgebilde nicht informell über die Fläche ausbreiten, sondern teilt den Bildraum, gliedert ihn rhythmisch in kleinere Einzelgebilde, die wie Inseln in einem großen, erahnbaren Bildkosmos erscheinen, oder lässt die weichen Gebilde mit und ohne Schalen auf ein Zentrum zusteuern bzw. dieses umkreisen. Auf diese Weise werden sie trotz des tendenziell Ungebändigen in der Balance gehalten werden, allerdings in einer bewusst labilen Bewegung, nicht in hierarchischer Formalität traditioneller Komposition.

Luise Ramsauers Malerei lebt aus der Spannung zwischen Fläche, Raum und sich darin verfestigenden malerischen Gegenständen, die allein aus der Pinselbewegung zeichnend und malend herausgetrieben werden. Es geht um Ruhezonen und Bewegung, um Ort und Ortlosigkeit, um hart und weich, Kraft und Schwäche, Explosivität und Verletzlichkeit – und immer vor allem um das malerische Kalkül, diese Gegensätze zusammenzuhalten und in den malerischen Prozess einzubinden, ohne dass der Bildfluss zum bloß intellektuellen Konstrukt gerinnt und die sinnliche Basis der Erfahrung einem biologischen Programm untergeordnet würde.

Lothar Romain